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Geht kacken! – Eine Empörung

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Der nachfolgende Text ist Teil der ersten Ausgabe des lesenswerten Magazins “Echauffier – Das Magazin für Empörung”, welches vom geschätzten Ex-Kollegen Khesrau mit herausgegeben wird. Für die im Januar erschienene erste Ausgabe bat er mich einen Text beizusteuern, wobei ich keinerlei Ahnung habe, warum er beim Thema Empörung ausgerechnet an mich dachte. Ich bin ja mithin als ruhiger, ausgeglichener Menschenfreund bekannt, der sich bestenfalls in Ausnahmesituationen mal eines rustikalen Wortes befleissigt. Wie dem auch sei, hier nun mein Beitrag zu Echauffier, dem ich den lieblichen Titel “Geht Kacken” gab:

GEHT KACKEN!

Wenn ich etwas wirklich vermisse in Blogs, sozialen Netzwerken und Foren, dann ist es der „Geh kacken!“-Button. Denn je länger ich als Digital Native unterwegs bin, desto häufiger stolpere ich über die virtuellen Jammerlappen, die anonymen Gegenstücke zu den Menschen die ich schon zu Schul- und Unizeiten ganz real nicht ausstehen konnte.
Menschen deren Selbstwertgefühl anscheinend so sehr an ihren „Likes“ wie man heute sagt, hängt, dass sie nicht in der Lage sind irgendeine Form von Kritik zu akzeptieren, ohne sich persönlich bis tief runter in die langweilige Dunkelkammer in der ihr ICH wohnt, angegriffen und beleidigt, verletzt und getroffen zu fühlen.

Was es für einen Kritiker, der sich gerne auch mal einer deutlichen Zuspitzung bedient nicht eben einfach macht. Denn wenn jede Filmkritik, jede Aussage über eine Musikrichtung, Sockenfarbe oder Zeitschrift gleich als zwischenmenschlicher Holocaust interpretiert wird, fehlt einfach eine gewichtige Grundlage der Diskussion: Der gesunde Menschenverstand.

Nun wäre das einfach, wenn diese Reaktionen nur aus Richtung adoleszenter Pubertätsbolzen kämen, deren im Aufbau befindliches, fragiles Selbst schon durch zu lautes Husten aus der Balance gebracht werden kann. Die Zielgruppe die früher mit wütenden Briefen Zeitschriftenabos kündigte, weil ein Redakteur unvorsichtigerweise andeutete, die Kelly Family stamme vielleicht doch nicht in direkter Linie von Jesus ab.

Heute werden natürlich nicht mehr Briefe geschrieben, sondern Foren mit rudimentär-Gramatik und veritablen Todesdrohungen zugepflastert, wenn das Idol des frischhormonierenden Backfischs in irgendeiner Form verunglimpft wurde.

Doch das sind Teenager, die lebende Argumente gegen ein Wahlrecht ab 16 und für die Abtreibung bis zum vollendeten 11. Lebensjahr. Die haben genug damit zu tun überhaupt erstmal eine Persönlichkeit, Sexualität und einen Gleichgewichtssinn zu finden und leben in einer spannenden Wachstumsblase in der sehnsüchtige Selbstsuche, halbgares Philosophieren gleich wichtig ist, wie Furzgeräusche und wissendem Kichern, sobald das Wort „Loch“ fällt. Was nahelegt, dass „Matrix“ nur noch durch die Tatsache hätter verbessert werden können, dass statt Keanu Reeves Adam Sandler oder Kevin James den Neo gespielt hätten.

Leider ist es ein verbreiteter Irrglaube, mit Abschluss des 20. Lebensjahres oder wann auch immer die Adoleszenz heutzutage endet (glaubhafte Studien versichern spätestens Ende 40 sei das schlimmste überstanden) , wäre das Gequengel endlich vorbei. Denn je länger es gilt „jung“ zu bleiben, desto weniger diskursfähig werden die Leute. Und so wimmelt es im Netz wie in U-Bahnen, Arztpraxen und Selbsthilfe-Gruppen „Prenzlauer Jungmütter ohne Doppelnamen“ von Menschen die nicht in der Lage sind zu diskutieren oder andere Meinungen hinzunehmen ohne gleich ihr Ego aufs Schafott zu stellen und dem Autoren in sprachlich meist eher einfacher Form ein baldiges Ableben oder zumindest eine exotische, aber sehr schmerzhafte Darmkrankheit zu wünschen.

Und während die viel beschworene Generation LOL immerhin noch den Jugendbonus als Entschuldigung anführen kann und mittels eines Idiotenfilters (der einfach jeden Kommentar automatisch löscht der mehr als ein Ausrufezeichen verwendet) ignoriert werden kann, beanspruchen die älteren Heulsusen menschlich ernst genommen zu werden. Was schwerfällt, da sie in der Regel nicht in der Lage sind eine Kritik oder auch nur Ausspruch zuende zu lesen oder sich gar dessen Argumente vorzunehmen. In verletztem Harnisch regnet es mit schöner Regelmässigkeit also dieselben Kommentare.

Text für Text kommen im Gespräch oder in Kommentaren dieselben Erwiederungen: „Du kennst das Werk ja gar nicht “, „Du hast das bloß nicht verstanden“, „Wenn du den Film nicht magst dann guck ihn einfach nicht“, „Du findest den bloß doof weil ihn alle anderen toll finden“, „Du findest ihn bloß toll, weil ihn alle anderen doof finden“, „Jeder hat halt seine Meinung!“, „Das ist eben Popcorn-Kino!“ und immer wieder das klassische Mantra-Triumvirat aller Idioten: „Du bist überhaupt nicht objektiv!“, „Machs doch selbst erstmal besser!“ und „Man muß sein Gehirn auch mal ausschalten können!“.

Eine Forderung die weniger absurd wäre, machten diejenigen die sie bringen nicht den Eindruck ihr Hirn beim ersten Kino-Besuch ausgeschaltet und es danach nie wieder angeschaltet zu haben. Doch ehe sich die Leser mit Abitur oder Hochschulabschluss jetzt freuen: Obige Reaktionen kommen gerne und oft auch von Menschen, die für sich überdurchschnittliche Bildung reklamieren und über Mainstream die Nase rümpfen.

Denn wenn sie die Altare ihres eklektischen Geschmacks besudelt sehen, mutieren sie ebenso zum beleidigten (und beleidigenden) Troll, wie der gemeine Inception- und Avatar-Fan, der eher unerfreut zur Kenntnis nimmt, dass die von ihm angehimmelten Filme nicht zwingend das Weltwissen auf eine nie dagewesene Stufe anheben, nur weil er dort zum allerersten Mal davon erfuhr, dass es doof ist die Natur zu zerstören und das Träume psychologisch deutbar sind.

Sheeesh. Kinder. Wo bleibt die Freude am Diskurs, das genüßliche Sezieren eines Arguments im Versuch es zu entkräften? Woher kommt diese Konsens-Sucht, nur hören und lesen zu wollen, was eh die eigene Meinung ist? Wie langweilig ist es, nur Kritiker zu lesen deren Meinung ich zustimme. Wieviel spannender ist es, sich konträren Sichtweise zu öffnen, ohne den Anspruch zu haben, am Ende müsse ein Konsens stehen. Woher stammt die gerade in Deutschland so verbreitetete Kuschelsucht, die nach objektiven „sowohl-als-auch“-Bewertungen hungert und deutliche Positionen ablehnt?

Warum ertönt ausgerechnet in Deutschland so häufig der Ruf eine Kritik solle „objektiv“ sein. Worin gründet sich die dauernde Drohung der Leser beleidigt abzuhauen, weil man nicht ihre Meinung sekundiert. Woher kommt die Masse der Leute, die Dinge mögen, aber nicht sagen können warum?

Diese Unfähigkeit ein Argument zu verstehen, weil Popkultur selbst nichtmal auf einer Minimal-Ebene reflektiert wird – und das auch von Leuten die gerne „mal was anspruchsvolles sehen“. Was in dem Fall dann meist bei „American Beauty“ anfängt und bei „Lost in Translation“ aufhört.
Deren Ego Angesichts einer Kritik an etwas das sie mögen (nicht etwas das sie etwa selbst geschaffen haben) so bedroht zu sein scheint, dass sie nur noch durch persönliche Anwürfe („du findest sicher keine Frau zum ficken, deswegen schreibst du sowas“) reagieren können. Woher kommen diese Massen an Menschen, die exakt dieselben Sätze ausspucken und die absolut unfähig sind zu diskutieren? Und wie könnte man sie ändern?

Wahrscheinlich ließe sich da mit anständiger Bildung, Medienpädagogik und Wechselwarmen Bädern viel erreichen. Doch ich bin es mittlerweile müde und habe aufgehört mir diese Fragen ernstlich zu stellen.

Aber den „Geh Kacken!“-Button – den hätte ich wirklich gerne.


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